"Schon wieder ein Amoklauf an einer Schule.."
.. irgendwie sowas war mein erster Gedanke, als mein Kollege mich heute früh fragte: "Haben sie es schon gehört?"
Obwohl mein Kollege den ganzen Tag das Radio laufen hatte - und ich natürlich allein schon deswegen im Bilde war über den Amoklauf in Winnenden und auch sonst immer wieder mit den Kollegen drüber gesprochen habe, wenn es wieder neue Erkenntnisse gab, tja, trotz all dem:
Richtig hinfühlen mag ich da nicht.
Dabei ist das Problem an sich ja nicht, dass es keine 50 Kilometer entfernt ist, wo ein 17-Jähriger mit einer Waffe mal eben 16 Leute dahinstreckt - sondern dass es diese Person mit der Waffe überhaupt gibt. Dass es überhaupt möglich ist, dass jemand eine Waffe zieht, in seine ehemalige Schule rennt und dort ein Blutbad anrichtet .. und anschließend noch in einem Einkaufszentrum.
Ich will da echt nicht hinfühlen - und schon gar nicht der Frage nachgehen, WARUM jemand so etwas macht.
.. ja, ich fühle mich im Moment, als ob ich in dieser Hinsicht "maure".
Es macht mich hilflos und wütend, wenn über den Täter dann von der Nachbarin gesagt wird:
"Es ist für mich völlig unvorstellbar - er war immer so freundlich und hat nett gegrüßt."Wird so etwas nicht immer über diese Amokläufer gesagt? Die sind immer "nett, freundlich, zurückhaltend, unauffällig" - das ist es, was man dann immer über diese Typen hört... denn das ist ja schließlich nicht der erste Spinner, der ausrastet und wild um sich ballert - und leider gibts die nicht nur in Amerika, nein.. sie sind inzwischen vor der Haustür angelangt. Bei mir wirklich beinahe im wörtlichen Sinne! Denn 50 Kilometer ist schon wesentlich näher als 5000 Kilometer .. und früher konnte man sich dann wenigstens noch hinter der Aussage schützen, dass die Amis halt nen Schatten haben und hiiiier sowas doch nicht möglich wäre..
Doch ist es.
Auch wenn ich schon ein paar Jahre aus der Schule raus bin:
Es hätte auch "meine" alte Schule sein können ... mit den Kindern meiner Besten drin.
Noch schlimmer:
Der Größte meiner Besten hätte der sein können, der da mit der Pistole durchgerannt wäre!
Komisch, bei meiner Besten wurde schon mal die Wohnung durchsucht, als ihr Großer mal in einer flapsigen Bemerkung die Zotte rausgehauen hat, dass das hier ja zum Ausrasten sein, er liefe hier bald mal Amok (oder was in der Art) .. ihm wurde unterstellt, er könne tatsächlich einen Amoklauf planen und sein Zimmer wurde durchsucht.
... die Onkelz-CDs wurden übrigens beschlagnahmt, weil die "verboten" seien.
Hä?
Nein, bei dem Jungen hätte dann keiner gesagt, dass er
"doch immer so freundlich war und so ein stiller, unauffälliger Schüler."Da würden die Nachbarn und Lehrer wohl eher sagen:
"Ja, das haben wir doch schon immer geahnt, dass es mit diesem Jungen ein böööses Ende nimmt. Der war ja schon immer so schlimm und aggressiv und blabla.."Und ich?
.. ich kenne den Jungen seit seiner Geburt. Nein, ich sehe ihn teilweise nicht wirklich oft und bekomme somit nur über meine Beste mit, was für Sorgen sie mit ihm hat - und das nicht erst, seit er in der Pubertät steckt.
Nichts desto trotz, abgesehen davon, dass er wirklich, wirklich ein Problem hat, zu sich selbst zu finden und einfach zu sehr darauf bedacht ist, "cool" zu sein und bei anderen "anzukommen" (leider manchmal auf ziemlich schräge Weise), hab ich den Jungen sehr gern. Ich meine: Das ist pubertäres Kräftemessen, "cool" und aufmüpfig sein wollen gegen Eltern und Gesellschaft.
".. waren wir nicht auch so?" fragten sich meine Beste und ich schon mal.
Nein.
Wohl nicht in der extremen Art.
Die Zeiten haben sich tatsächlich geändert. Es ist irgendwie kälter, härter und unmenschlicher geworden. Übrigens nicht nur an den Schulen, sondern überhaupt in menschlichen Miteinander.
Der Vater des Täters war im Schützenverein, er hatte viele Waffen daheim und war (laut Radio) ein Waffennarr.
Mein Vater war auch im Schützenverein. Wir hatten auch einige Waffen daheim (ich erinnere mich, dass manche sogar in der unabgeschlossenen Schublade des Büroschrankes lagen) und sogar irgendso ein Wüstengewehr an der Wand hängen. Papa hatte somit bestimmt auch einen Faible für Waffen. Zumindest wäre das bestimmt so im Radio gesagt worden, wenn ich die Amokläuferin gewesen wäre..
Es sind jedoch nicht die Waffen, die gefährlich sind - es ist der Mensch hinter der Waffe.
Ehrlich gesagt, wäre ich nie auf die Idee gekommen, mir eine der Waffen zu nehmen. Nicht für mich, nicht, um sie zu benutzen, nein, nicht mal, um sie jemandem zu zeigen oder damit "anzugeben".
Vielleicht bin ich halt auch einfach "nur ein Mädchen" .. und deswegen ist das nicht "cool" für mich gewesen. Obwohl ich tatsächlich auch mal kurz überlegte, in den Schützenverein zu gehen. Meine Schwester ist drin, Papa war drin ... naja, aber irgendwie (von nem "Tag der offenen Tür" auf Scheibe-Geschieße mal abgesehen) hat mich das nicht so unheimlich fasziniert.
Was will ich mit dem Ganzen sagen?
.. keine Ahnung.
Es ist einfach so ein Dahinschreiben der auf mich einströmenden Gedanken..
Irgendwie will ich vielleicht einfach nicht wirklich fühlen und begreifen was da geschehen ist, da bei mir ums Eck...
.. sich da wirklich richtig reinzudenken, das fühlt sich für mich zu furchtbar an - und gibt mir ein schier endloses Gefühl der Ohnmacht, Wut und Trauer.